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07.10.2022
Themenbeitrag

BDSM und Sexismus


 



BDSM und Sexismus





Liebe Mitglieder,

mit diesem Artikel möchte ich eine Spurensuche betreiben. Wie sexistisch sind BDSMer? Neigen sie aufgrund ihrer Neigung mehr oder vielleicht auch weniger zu sexistischen Verhaltensweisen?

Um dieser Frage nachgehen zu können, möchte ich zunächst versuchen den Begriff Sexismus zu definieren.

Sexismus ist ursprünglich kein deutscher Begriff, sondern leitet sich aus dem englischen Wort sexism ab.

Da man unter Sex im Deutschen etwas anderes versteht als im Englischen, ist die Bedeutung von Sexismus für deutschsprechende Menschen missverständlich. Für viele ist der Begriff auf sexuelle Handlungen gemünzt. Bei sexueller Belästigung, Nötigung bis hin zum sexuellen Missbrauch oder sexualisierter Gewalt spricht man von Sexismus und übersieht eventuell, dass im Englischen das Wort sex für das biologische Geschlecht steht und weniger mit Sexualität zu tun hat.

So meint sexism eine geschlechtsbezogene Diskriminierung und diese muss nicht durch sexuelle Handlungen begleitet sein.


Wann diskriminiere ich andere?

Wikipedia definiert es so:

„Diskriminierung bezeichnet eine Benachteiligung oder Herabwürdigung …
nach Maßgabe bestimmter Wertvorstellungen oder aufgrund unreflektierter,
z. T. auch unbewusster Einstellungen, Vorurteile …“


Laut dieser Definition kann ich schnell in die Diskriminierungsfalle geraten, weil auch unbewußte Einstellungen und Vorurteile dazuzählen.

Gemäß der Definition, könnte ich mich z.B. als Steinbock diskriminiert fühlen, wenn mich eine Frau mit der Begründung ablehnt: „Ihrer Erfahrung nach, wären Steinböcke egoistische Menschen und deshalb gibt es kein Date“.

Die Sklavenzentrale hat so gesehen damit sogar ein (von den Mitgliedern über Jahre gefordertes) Diskrimierungs-Tool (zum Glück kein sexistisches) im Profil. Jeder kann sein Sternzeichen im Profil eintragen. Diese Information dient wahrscheinlich etlichen Mitgliedern dazu, andere Mitglieder gemäß ihrer Vorurteile zu bevorzugen oder auszusondern.

Die allgemeine Wehrpflicht vieler Länder, welche nur Männer zum Wehrdienst verpflichtet, dürfte aber wohl als sexistisch gesehen werden. Männer müssen aufgrund ihres Geschlechts einen Dienst für ihr Land verrichten und im Kriegsfall sogar an die Front.

Wie schaut es aber mit Sexismus beim BDSM aus?

Vorurteile, die wir dem anderen Geschlecht gegenüber haben, werden sich meiner Ansicht nach nie völlig beseitigen lassen. Allein schon deshalb, weil Vorurteile im Alltag helfen Entscheidungen zu treffen.

Wenn ich fest davon überzeugt bin, dass „Blondes have more fun“ gilt oder rothaarige Frauen sexuell offener sind, dann erleichtert mir das die Suche, weil ich mich auf einen bestimmten Personenkreis fokussieren kann. Ob das Sinn macht, sei dahingestellt.

Das Markenimage setzt genau auf solche Vorurteile. Ein guter Freund hat mir einmal dringend zum Kauf eines Mercedes geraten. Ein Fahrzeug, mit dem ich mehr in der Werkstatt war, als mit jedem anderen meiner Fahrzeuge. Dennoch stand für ihn fest, Mercedes baut die besten Fahrzeuge.

So existieren auch unter BDSMern feste Rollenzuschreibungen, z.B. Vorstellungen oder Vorurteile wie ein Top zu sein hat oder ein Bottom. Als „Wunschzettel-Sub“ werden mitunter Bottoms abgewertet, die nicht dieser Rollenerwartung entsprechen mögen.

Ich behaupte - beweisen kann ich das selbstverständlich nicht - dass Doms ebenso wie Dominas mit einer inneren Annahme durch die Profile der SZ surfen. Für einen Dom ist jeder potentielle Partner erstmal „per default“ Sub, bis sich etwas anderes herausstellt. :-)

Devote Männer sind hier nicht anders. Selbst TPE-24/7-CIS Sklavinnen werden mit „Hallo Herrin!“ angetextet. Zumindest wird mir das immer mal wieder zugetragen.

Das könnte man Wunschdenken aber auch Sexismus nennen. Wieso Sexismus? Wird der ein oder andere Leser jetzt denken. Wenn man auf das Gegenüber, jene Eigenschaften projiziert, die man sich wünscht, hat das nichts sexistisches, denn es fehlt der degradierende Aspekt. Diesen bekommt man dann aber häufig über das Profil der betreffenden Dom-Person nachgeliefert.

Hier gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Weibliche Dominante stellen gern Unterschiede in der Hierarchie zu ihrem Gegenüber heraus. Sie betiteln sich oft als Göttin oder Königin und streichen ihre Verehrungs- oder Anbetungswürdigkeit heraus und sprechen den Leser als Sklave, Wurm, Zahlschwein oder zumindest als lästigen Vogel an, der froh sein kann, wenn er dienen oder finanziell hilfreich sein darf. Es werden auch Dienstleistungen, wie Fahrdienste, Putzdienste und Besorgungen eingefordert.

Nicht wenige dieser Profile lesen sich ziemlich männerverachtend, haben damit aber anscheinend Erfolg.

Männliche Dominante verfolgen andere Strategien. Sie betiteln ihr Gegenüber weniger abwertend. Sklavin ist meist der härteste Begriff den sie wählen (wobei Sklave/Sklavin auch von vielen Subs als Selbstbezeichnung gewählt wird). Sie erwarten auch keine Dienstleistungen á la Fahrdienste oder Shoppingbegleitung inkl. Begleichung der Rechnung. Sie thematisieren stärker die sexuelle Verfügbarkeit und stellen patriarchale Eigenschaften in den Vordergrund. Sie bieten sich als Kapitän an, der den submissiven Part versteht und ihn sicher durchs Leben schippert.

Diese Profile sind meiner Empfindung nach, weniger frauenverachtend aufgebaut, legen aber den Verdacht nahe, submissive Frauen schaffen es ohne männliche Hilfe einfach nicht.

Dennoch sind beide Profiltypen auf ihre Weise gleich sexistisch.

An dieser Stelle scheint es mir wichtig klarzustellen, dass natürlich nicht alle Profile dem ein oder anderen Typ zuzuordnen sind. Es gibt viele Profile die nichts von dem haben, was ich hier angeführt habe. Und nicht nur die ohne Text. :-)

Doch was sagt das über uns BDSMer aus?

Zunächst sagt es gar nichts über alle BDSMer aus. Dies zu behaupten, wäre ebenso ein Vorurteil. Aber es sagt auch nicht nichts über die Szene aus, dafür gleichen sich zu viele Selbstdarstellungen.

Auf jeden Fall muss berücksichtigt werden, dass Profile auf einer Online-Plattform, für nicht wenige, Performance-Charakter haben.

So wie nicht jede Instagram-Schönheit täglich spannende Dinge erlebt und dabei immer blendend ausschaut - selbst wenn ihr Profil das so darstellt, so ist hier nicht jeder Profiltext für bare Münze zu nehmen. Einige präsentieren sich so, weil sie glauben, dass es gut ankommt. Wahrscheinlich geht etlichen Männern einer ab, wenn sie von einer Frau als „elender Wurm“ betitelt werden. :-)

Dirty talk oder wie immer man das nennen mag, spielt hier eine wesentliche Rolle.

Aber … so vermute ich, nimmt man auch zum Spaß keine Rollen an, mit denen man sich so gar nicht identifizieren kann.

Das bringt mich zu der These, dass Sexismus beim BDSM sehr wohl eine Rolle spielt und das auch Misogynie und Misandrie in diesem Umfeld vorhanden sind.

Aber wie stark muss das beunruhigen? Ist denn sexuelles Verlangen jemals politisch korrekt gewesen?

Termini wie „Dirty talk“ sind ein Beleg dafür, dass besonders das Unkorrekte oder Unerhörte sexuell stimulierend sein kann. So setzen erotische Rollenspiele wie „Krankenschwester und Patient“, „Lehrer und Schulmädchen“ oder „Polizist und Delinquent“ auf stereotype, klischeebeladene Rollenbilder, die wir im Alltag als nicht wünschenswert ansehen, ohne die das Rollenspiel aber nicht funktionieren würde.

Fazit

Aus meiner Sicht, kann man dazu zwei Auffassungen vertreten. Die eine ist, dass Sexualität in Teilbereichen zivilisatorisch zurückgeblieben ist. Dass, auch wenn wir uns als Gesellschaft um Augenhöhe, Gleichberechtigung und Vorurteilsfreiheit bemühen, diese Tugenden in der Sexualität lange noch nicht angekommen sind. Wer daran zweifelt, dem empfehle ich einen Besuch auf den einschlägigen Pornoplattformen.

Die andere These wäre, dass eine Sexualität, der man alle archaischen Elemente abtrainiert hat, ein zahnloser Tiger wäre und den Reiz verlöre, dass man es mit Tugendhaftigkeit und Augenhöhe auch übertreiben kann. Eine Vorstellung, die einigen Menschen wahrscheinlich Angst macht, weil sie fürchten, dass wir als Menschheit, „das vermeintlich Böse“, nie ganz los werden.

Um das Problem aus einer anderen Perspektive zu betrachten: kann man z.B. „zu ehrlich“ sein? So ehrlich, dass die prinzipiell positive Eigenschaft „Ehrlichkeit“ ins negative umschlägt?

Wer an dieser Stelle mit Ja, geantwortet hat, der muss auch in Erwägung ziehen, dass es ein „zu vorurteilsfrei“, „zu verständnisvoll“, usw. gibt. Es kommt bei fast allen Dingen im Leben auf die richtige Gewichtung an und in dieser Gedankenwelt findet dann sogar Sexismus seinen Platz.


Text: M. Zyks
Bild: ©Dilok - stock.adobe.com
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