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Bin ich irre, oder was? - Der Diagnoseschlüssel ICD 10 - SZN-QUAIDSANGEL
25.10.2006
ONLINE-MAGAZIN
Informatives


"Bin ich irre, oder was?“ – Der Diagnoseschlüssel ICD-10 F65

Arztbesuche sind nie lustig. Doch gerade für Menschen, die BDSM leben, sind sie mitunter besonders pikant. Vanessa (Name geändert) hat einen Termin bei ihrem Hausarzt und noch interessante blaue Flecken von der letzten Session quer über den Körper verteilt. Ihr Arzt fragt nach, wie es zu den blauen Flecken gekommen sei. Sie ist ehrlich und outet sich gegenüber ihrem Doktor: „Wissen Sie, ab und an mag ich es, wenn mein Freund mich verhaut...“. Ihr Arzt schaut skeptisch, sagt aber nichts. Einige Wochen später bekommt Vanessa ein freundliches Schreiben von ihrer Krankenkasse, man habe ihre Akten der letzten fünf Jahre durchgegangen und wolle sie darauf aufmerksam machen, dass in Zukunft nur Deckung für "nicht selbst verschuldete Verletzungen" übernommen werden könne.

Dieser Fall ist kein hypothetisches Konstrukt, sondern genau so passiert.


Was ist passiert?

Vanessas Arzt hat in ihrer Patientenakte den Diagnoseschlüssel „F65.5“ vermerkt. Der Diagnoseschlüssel F65.- nach ICD-10 (International classification of diseases, Version 10, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation WHO, nachzulesen hier) bezeichnet „Störungen der Sexualpräferenz“; F65.5 steht für Sadomasochismus. Die WHO definiert diesen Zustand: „Es werden sexuelle Aktivitäten mit Zufügung von Schmerzen, Erniedrigung oder Fesseln bevorzugt. Wenn die betroffene Person diese Art der Stimulation erleidet, handelt es sich um Masochismus; wenn sie sie jemand anderem zufügt, um Sadismus. Oft empfindet die betroffene Person sowohl bei masochistischen als auch sadistischen Aktivitäten sexuelle Erregung.“


Der Diagnoseschlüssel ICD-10 F65

Natürlich kann die Diagnose „Störung der Sexualpräferenz“ nicht ohne strenge Diagnosekriterien getroffen werden. Zu diesen gehören wiederholt auftretende intensive sexuelle Impulse und Phantasien, die sich auf ungewöhnliche Gegenstände oder Aktivitäten beziehen. Handelt der Patient entsprechend den Impulsen oder fühlt sich durch sie deutlich beeinträchtigt, kann der Diagnoseschlüssel F65.- Anwendung finden. Außerdem ist auch die Dauer dieser „Störung“ wichtig, erst ab mindestens sechs Monaten sieht die WHO Handlungsbedarf.

Für den „Sadomasochismus“ gilt zusätzlich, dass die allgemeinen Kriterien für eine Störung der Sexualpräferenz erfüllt sein müssen. Sadomasochismus wird also als Präferenz für sexuelle Aktivitäten entweder als passiver (Masochismus) oder als aktiver Part (Sadismus) oder beides definiert. Bei diesen Aktivitäten muss mindestens eines der folgenden Charakteristika vorliegen: Schmerzen, Erniedrigung, Unterwerfung sowie Fesselung oder Fixierung. Außerdem legt die WHO fest, dass die sadomasochistische Aktivität die wichtigste Quelle sexueller Erregung oder notwendig für sexuelle Befriedigung ist.

Bürokratendeutsch. Was SM für uns bedeutet, ist viel weiter gefächert, doch man sollte sich darüber klar werden, was es mit dieser ICD10 F65.5 wirklich auf sich hat. Die ICD-10 klassifiziert Krankheiten. Das heißt, Ärzte schauen in den Katalog ICD-10, um die Krankheit eines Patienten nicht umständlich lang aufschreiben zu müssen, sondern ihr eine kurze Nummer zuordnen zu können. Auch der Gesetzgeber verlangt diese Verschlüsselung. Innerhalb der ICD-10 werden ALLE Erkrankungen klassifiziert, vom eingewachsenen Zehennagel bis hin zu den psychischen Erkrankungen ist tatsächlich alles vertreten. Die „F-Diagnosen“ in der ICD-10 beschreiben „psychische und Verhaltensstörungen“ innerhalb derer dann nochmals die einzelnen Bereiche aufgeschlüsselt werden. Die „Störungen der Sexualpräferenz“ werden zusammengefasst unter der ICD-10 F65.-, die einzelnen Nummern hinter dem Punkt geben an, um welche Störung der Sexualpräferenz oder „Paraphilie“ (griechisch: „para“ = abseits, neben; „philia“ = Freundschaft, Liebe) es sich handelt.


Warum schreibt der Arzt diesen Diagnoseschlüssel in die Patientenakte?

Die wenigsten Mediziner können tatsächlich etwas mit Sadomasochisten anfangen. Wenn jemand beim Arzt auftaucht und deutliche „Misshandlungsspuren“ trägt, wird ein verantwortungsbewusster Arzt den Patienten fragen, woher diese Spuren stammen. Ein Mediziner kann NICHT auf den ersten Blick unterscheiden, ob Spuren einvernehmlich im Rahmen sexueller Handlungen entstanden sind, oder sie gegen den Willen des Patienten im Sinne einer körperlichen Misshandlung zugefügt wurden.

Spannend wird es, wenn der Patient dem Arzt mitteilt, dass er sadomasochistische Handlungen praktiziert. Das allein ist keine Erkrankung, denn eine solche wird erst dann festgestellt und mit einem Diagnoseschlüssel der ICD-10 versehen, wenn aufgrund eines entsprechenden Leidensdruckes ein therapeutischer Bedarf entsteht.

Was das konkret heißt? Ein Patient leidet unter seiner Neigung, dieses Leiden kann sich mannigfaltig offenbaren, zum Beispiel wenn außerhalb der entsprechenden Praktiken keine Sexualität mehr gelebt werden kann, weil nichts mehr als erregend empfunden wird und durch diesen Zustand eine massive Beeinträchtigung der Lebensqualität entsteht. Nur wenn dieser „Leidensdruck“ vorliegt sollte ein verantwortungsvoller Arzt den Diagnoseschlüssel F65.5 heranziehen.

Sadomasochismus wird also laut WHO als „Paraphilie oder Störung der Sexualpräferenz“ gehandelt, so viel steht fest. Leider gibt es auch immer wieder Mediziner, die den Diagnoseschlüssel F65.5 ohne Leidensdruck des Patienten heranziehen, vor allem dann, wenn sie selber in ihrem subjektiven Empfinden sadomasochistische Praktiken als „krankhaft“ empfinden und nicht nachvollziehen können, dass jemand Vergnügen dabei empfindet. Um als Arzt wirklich beurteilen zu können, ob ein Patient unter seiner Neigung leidet, muss ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, das weit über den quartalsüblichen Pflichtbesuch hinausgeht. Somit sollte eigentlich ein „normaler“ Arzt die Finger von dem Diagnoseschlüssel F65.5 lassen.


Gibt mein Arzt meine Diagnosen an meine Krankenkasse/ Krankenversicherung weiter?

Ja, das tut der Arzt, da sich Therapien/ Therapieverfahren aus der Diagnose ergeben. Privatversicherte Patienten haben gegenüber dem Kassenpatienten den Vorteil, dass Rechnungen zunächst an den Patienten direkt gehen und nicht sofort bei der Versicherung eingereicht werden. Auf den Rechnungen stehen die Diagnosen, das heißt der Privatversicherte hat die Möglichkeit, mit seinem Arzt auszudiskutieren was auf der Rechnung steht. Bei Kassenpatienten gehen die Rechnungen an die Abrechnungsstellen, das heißt, die zuständige Krankenkasse bekommt auch die Diagnosen mitgeteilt.

Nichtsdestotrotz ist eine Krankenkasse dazu verpflichtet, „Folgen“ eines „Fehlverhaltens“, die einer ärztlichen Behandlung bedürfen, zu bezahlen. Ein genereller „Vorab“-Leistungsausschluss darf nicht erfolgen, da im Einzelfall nachgewiesen werden muss, dass der Patient sich grob fahrlässig verhalten und damit die Behandlungsursache selbst herbeigeführt hat. Lediglich private Krankenkassen können bestimmte Leistungen explizit ausschließen, und das auch im Voraus.

Vanessa ist bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. Momentan wird diskutiert, ob sie mit ihrem "exotischen Hobby" in eine andere Versicherungsklasse eingestuft wird, zusammen mit Risikogruppen wie Fallschirmspringern und anderen Extremsportlern mit hohem Verletzungsrisiko.

Außerdem hatte sie nicht den Arzt nicht aufgesucht, um ihre „Spuren“ behandeln zu lassen. Die Nachfrage des Arztes nach der Herkunft der Spuren ist zwar legitim, aber der Versicherungsnehmerin daraufhin eine „Störung der Sexualpräferenz“ zu diagnostizieren ist mehr als fragwürdig, da aus einem kurzen Arztkontakt sicher nicht hervorgeht, ob alle Kriterien zur Erstellung gerade dieser Diagnose tatsächlich auch erfüllt sind. In diesem Fall hätte die Patientin die Möglichkeit, rechtliche Schritte gegen den Arzt zu unternehmen.


Wie kann man sich als Patient dagegen wehren, dass dieser Diagnoseschlüssel in der Patientenakte auftaucht?

Normalerweise hat jeder Patient das Recht auf Akteneinsicht. Das heißt, der behandelnde Arzt ist dazu verpflichtet, dem Patienten alle Daten, die im Rahmen von Arztbesuchen erhoben werden so zur Verfügung zu stellen, wie sie in der Akte stehen. Eine Ausnahme hiervon sind Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die die Akteneinsicht verwehren können, wenn dadurch eine Gefährdung des Behandlungserfolges besteht. Wenn man nun als Patient den Verdacht hat, dass der behandelnde Arzt diesen Diagnoseschlüssel unrechtmäßig in die Akte geschrieben hat, sollte man als Erstes Akteneinsicht fordern.

Falls nun dort der Diagnoseschlüssel F65.5auftaucht, hat man durchaus die Möglichkeit, gegen diese Diagnose anzugehen. Eine „Störung der Sexualpräferenz“ ist eine Diagnose, die streng genommen ausschließlich von einem Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie gestellt werden sollte und NICHT vom Hausarzt. Der Weg zur Diagnosestellung bei einem Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie ist lang und erfordert mehr als nur ein sehr ausführliches Gespräch. Hierbei wird bei einem Verdacht auf eine Störung der Sexualpräferenz natürlich ein besonderes Augenmerk auf die Sexualanamnese gelegt, das heißt der Arzt wird Fragen stellen zur frühkindlichen sexuellen Betätigung („Doktorspiele“ und ähnliches), Masturbation, dem ersten Geschlechtsverkehr, Typus des gewählten Partners, sexueller Ausrichtung und aktuellen sexuellen Erfahrungen.

Gleichzeitig wird ein Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie versuchen, gemeinsam mit dem Patienten eine Analyse der Paarbeziehung zu erstellen. Um eine solche Anamnese erheben zu können, ist Grundvoraussetzung, dass ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient besteht.


Wie kann man F65.5 wieder loswerden?

Die Frage ist nun, ob man als Patient fordern kann, dass der Diagnoseschlüssel F65.5 aus der Akte entfernt wird? Ein klärendes Gespräch mit dem behandelnden Arzt und die Versicherung, dass man als Patient nicht unter seiner Sexualität leide, sollten zum Erfolg führen.

Da ein Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie eine psychiatrische Diagnose tatsächlich im Regelfall nur dann stellt, wenn ein entsprechender Leidensdruck vorliegt und/oder der Patient durch die Abweichung von der „Norm“ Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung seines Alltags bekommt, sollte ein bloßer „alternativer Liebesstil“ nicht als Erkrankung klassifiziert werden.

Sollte das Beharren auf die Entfernung des Diagnoseschlüssels nicht zum gewünschten Erfolg führen, kann man über die Berufsverbände der Ärzteschaft Beschwerde einlegen. Falls auch dann noch Schwierigkeiten bestehen, hat man als Patient immer noch die Möglichkeit, ein psychiatrisches Gutachten erstellen zu lassen, allerdings sollte dies im Regelfall nicht erforderlich sein.


Ist man nun krank, wenn man SM lebt?

Hier scheiden sich die Geister. Wenn man von den Diagnosekriterien einer Störung der Sexualpräferenz ausgeht, dann leidet der SMer grundsätzlich unter einer solchen Störung, allerdings nur unter der „nicht näher bezeichneten“ (F65.9). Wenn zusätzlich die Diagnosekriterien für den „Sadomasochismus“ erfüllt sind, dann darf rein theoretisch auch der Diagnoseschlüssel F65.5 verwendet werden.

Gerade im Bereich der psychiatrischen Diagnosen gilt allerdings mittlerweile fast überall, dass diese nur dann gestellt werden, wenn der Patient einen Leidensdruck angibt oder wenn deutlich wird, dass es tatsächlich im Rahmen einer Abweichung von der Norm zu massiven Problemen im privaten wie auch beruflichen Bereich kommt, unter denen der Patient und/ oder sein Umfeld leiden oder eine Gefährdung entsteht.

Mittlerweile gibt es international Bestrebungen, den Diagnoseschlüssel F65 und dessen Entsprechungen aus den Katalogen zu entfernen. Der BVSM informiert auf seiner Internetseite über Aktionen zu diesem Thema.

Doch auch im ICD-10 für das Jahr 2007 werden wieder „Störungen der Sexualpräferenz“ gelistet, die auch Praktiken des BDSM umfassen. Bürokratische Mühlen mahlen langsam, doch sollte dies kein Grund dafür sein, nicht doch ein paar Kiesel ins Getriebe zu werfen.


Disclaimer:

Dieser Artikel erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch kann er eine Grundlage für eventuelle rechtliche Schritte sein. Jeder muss selbst entscheiden, was er wann seinem Arzt sagt und vor allem, wie er sich versichert.

Individuelle oder persönliche Fragen, die durch diesen Artikel nicht beantwortet wurden, bitte per PN an den SMAMED-Zirkel. Punkte, in denen auch Fachleute unterschiedliche Meinungen haben, gibt es immer wieder; dieser Artikel entspricht den Ansichten der Mitglieder des SMAMED.


Text: © Tiegah für den SMAMED

Der Inhalt dieses Artikels gibt lediglich die Meinung und Ansicht des Autors wieder und muss mit der Meinung der Sklavenzentrale nicht unbedingt übereinstimmen.